Rede von Gunter Waßmann / Dombrowski-Ehrung 2015

Vorstandsmitglied des Kunst- und Heimatvereins Wiederitzsch e.V.
Dombrowski-Ehrung 2015

In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland viele sogenannte Polenlieder. Fortschrittliche deutsche Dichter beschäftigten sich mit dem Frei-heitskampf des polnischen Volkes. Schubert, Kerner, Platen, Herwegh, Freiligrath, Laube, um nur einige zu nennen. Einer von ihnen war der Dichter, Gelehrte, liberale Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 und Mitglied des Tübinger Judenkomitees, Ludwig Uhland.

Er schrieb 1833 ein Gedicht mit dem Titel „An Mickiewicz“, gewidmet dem großen polni-schen Nationaldichter und Patrioten. Nun ist zu fragen, und was hat das mit Dombrowski zu tun, der zum Zeitpunkt, als das Gedicht geschrieben wurde, bereits achtzehn Jahre zuvor verstorben war.

Hören Sie die erste der drei Strophen des Gedichts:
„An der Weichsel fernem Strande
tobt ein Kampf mit Donnerschall.
Weithin über deutsche Lande
Rollt er seinen Widerhall.
Schwert und Sense scharfen Klanges
Dringen her zu unsren Ohren.
Und der Ruf des Schlachtgesanges
„Noch ist Polen nicht verloren!“

Nun wissen die Kundigen, das ist eine Zeile aus jenem Lied, das Jozef Wybicki seinem Freund und Kampfgefährten, dem polnischen General und Patrioten Jan Henryk Dombrowski gewidmet hatte und das zum Schlachtgesang der polnischen Legion in den napoleonischen Kämpfen geworden war. Und weiter. Viele Jahrzehnte später, 1927 wurde es zur polnischen Nationalhymne.

In diesem Gedicht Ludwig Uhlands zeigt sich etwas Bedeutsames und in die Zukunft Weisen-des. Der Kampf des polnischen Volkes um Freiheit und Unabhängigkeit, gegen die mehr-fachen Teilungen durch Russland, Preußen und Österreich war keine nur polnische Angele-genheit. Er erfasste Menschen in vielen Ländern und veranlasste sie, Partei zu beziehen. Viele der fortschrittlichen Kräfte in Deutschland, in Frankreich, in anderen Ländern unterstützten die polnischen Patrioten mit Wort und Tat, häufig, wie besonders in Deutschland, auch mit Blick auf die eigenen politischen Verhältnisse.

Insofern hat diese Aussage etwas bis in die Gegenwart Gültiges. Leben wir heute nicht in einer Zeit, in der militärische Spannungen wieder anwachsen, in der Menschen wegen ihres Glaubens, wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt werden, in der Hunderttausende deswe-gen auf der Flucht sind? In der besten Tradition der damaligen Dichter sind wir deshalb auf-gefordert, auch heute Position zu beziehen für Menschenwürde, für Demokratie, für Freiheit.

Dombrowski, Kosciusko, Poniatowski und andere waren Ende des 18./Anfang des 19. Jahr-hunderts Vorkämpfer für die Freiheit des polnischen Volkes, für die Wiedererrichtung eines polnischen Staates gewesen. In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten andere den Stab aufgenommen und führten den Kampf fort.

Wer war dieser Jan Henryk Dombrowski, der am 29. August 1755, also heute genau vor 260 Jahren in Pierzchowice nahe Krakau geboren wurde? Und was haben wir mit diesem Polen zu tun, den wir hier und heute ehren wollen?

Kurz gesagt, seht viel!
Dombrowski verbrachte einen teil seiner Jugend in Kursachen und diente bis 1791 in der kursächsischen, zugleich königlich-polnischen Armee unter Friedrich August II. Danach kämpfte er bis 1794 in Polen. Seit 1797 kommandierte er unter Napoleon Bonaparte die Polnischen Legionen in Italien. Seit 1806 kämpfte er unter Napoleon in Polen, 1812 in Russland. 1813 war er, immer noch unter Napoleon, in Sachsen, stellte im Frühjahr seine polnische Division neu auf, nahm am Herbstfeldzug teil und erwarb sich Verdienste in der Völkerschlacht bei Leipzig. So auch am 16. Oktober hier in Groß- und Klein-Wiederitzsch.

Die Jahrzehnte, in denen er lebte, waren an Ereignissen überreich. Sie veränderten die Staaten Europas in ihren Grenzen, wälzten gesellschaftliche Verhältnisse um und betrafen im Grunde jeden Menschen, ob er es wahrhaben wollte oder nicht. Zu den vielen, die aktiv handelten und alles einsetzten, gehörte Jan Henryk Dombrowski. Die unruhige und bewegte Zeit gab ihm viele Möglichkeiten, die besten Seiten seines Charakters zu zeigen.

Zeit seines Lebens setzte er sein militärisches Können für den Kampf um die Freiheit und Selbständigkeit Polens ein. Wissend, dass das aufgeteilte Polen allein zu schwach war, um diese großen Ziele zu erreichen, setzte er lange Zeit seine Hoffnungen auf die Unterstützung zunächst durch das revolutionäre Frankreich, später durch Napoleon. In ihnen sah er wie viele andere polnische Patrioten eine Chance für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit und Freiheit Polens, für die Beseitigung der Teilung, für die Wiederherstellung des polnischen Staates.

Dombrowskis Einsatz und Kampf war in seiner Zeit noch zum Scheitern verurteilt.
Und er selbst war auch vielen Angriffen ausgesetzt gewesen. Manche bezichtigten ihn des Verrats an der Sache Polens. Andere sagten ihm Unbescheidenheit und Überheblichkeit nach. Dritte stießen sich an seinen demokratischen Auffassungen, unterstellten ihm sogar Aufrüh-rertum und Unterstützung des Jakobinertums.

Dombrowski war vor allem ein großer Pole und Patriot. Er war zugleich aber auch ein Euro-päer. Er kannte die Sprachen und Gebräuche vieler Länder. Er war offen für die Gedanken anderer Kulturen. Er sah sich in die historische Situation gestellt, für seine Heimat und deren Unabhängigkeit zu kämpfen, in Polen, in Italien, in Deutschland, in Russland. Seine histori-sche Einsicht ließ ihn erkennen, dass Despotismus und Tyrannei keine Perspektive mehr haben. Im Mittelpunkt seine Überlegungen standen nicht mehr Herrscherhäuser und Dyna-stien, stand nicht die alte polnische Adelsrepublik mit einem Wahlkönigtum. Im Mittelspunkt stand für ihn vielmehr der Mensch, der selbst verantwortlich ist für sein Handeln, stand die Vorstellung von einem polnischen Nationalstaat mit gleichberechtigten Bürgern.

So bleibt: Dombrowskis demokratische Anschauungen wie seine militärischen Leistungen, sein unbedingtes Eintreten für ein freies Polen stellen ihn die die Reihe der hervorragenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Und sie sind durchaus noch aktuell und zeitgemäß.